Mallorca 2005

Veröffentlicht in Kurzberichte vor 2013

I’m so sorry, liebe Leute...

 

Ich hör’ mich heute noch vor dem Playa de Muro völlig unschuldig (und etwas biergeschwängert) in die Meute plaudern: „ Klar kann ich ein paar nette Zeilen über die Woche schreiben – kein Problem... Lasst das nur mal den Deutschen machen...“. Das war vor 10 Monaten - mittlerweile ist Januar – das Jahr ist an mir vorübergedüst wie ein Schnellzug am Bahnübergang (oder Roele von hinten beim Bergzeitfahren).

 

Dabei hab’ ich gleich nach dem Lager kräftig in die Tasten gehauen, um möglichst nichts zu vergessen. Viel bemerkenswerte Eindrücke waren mir im Sinn, tolle Erfahrungen aber auch kleine Geschichten am Rande, die es wert sind, angemerkt zu werden. Frank, der mit 150 Sachen Serpentinen abfährt, Doris, die mehr Bilder schiesst als mancher Japaner, Thömi, der es schafft, am Esstisch „Grease“ spektakulärer zu inszenieren als sämtliche Hotelanimateure zusammen auf der Bühne, Jausi, der mehr Geschichten auf Lager hat als die Brüder Grimm, Patricia, die einem in Radmontur und Stöckelschuhen schlicht den Atem raubt und Simon, der sich vermutlich noch die nächsten 50 Jahre seinen roten Kopf bei einem gemeinsamen (händefassenden und superlauten) „Guten-Appetit“ in der Menge anhören muss.

 

All diese Storys wollte ich zusammen mit dem Rad-Programm in eine Geschichte verpacken und der Anfang fiel mir ja auch richtig leicht. Aber da kam das Schlussstress des letzten Schuljahres zusammen mit ein paar Wettkämpfen und dann ist mir diese Datei auch scheinbar noch irgendwie vom Desktop in den Sumpf meiner Schul-Ordner und somit aus meinem Bewusstsein gerutscht.

 

Das war’s dann – erst vor zwei Wochen – beim Schreiben der Semesterzeugnisse kam er mir wieder vor meine Augen und damit in den Sinn. Was für ein Schämmer! Immerhin noch früh genug, um ihn euch zur der MV nachzureichen....

Zwischenbericht des Agenten 008 über die Nordwestschweizer Situation in der Triathlon-Landschaft anhand des Basler Vereins „Tria Basilea“.
 

 

Freitag 22. April 2005
Phase 1 des Aufklärungs-Kommandos ist abgeschlossen – konnte mich ohne Verdachtsmomente im Vereinsleben integrieren. Anfangs kam mir die gesellige Kameradschaftlichkeit aller Vereinsmitglieder  sehr verdächtig vor, mittlerweile bin ich aber davon überzeugt, dass sie tatsächlich der gewohnte Umgang miteinander darstellt. Die Teilname an den wöchentlichen Veranstaltungen sind zwar äusserst anstrengend, werden aber im allgemeinen nicht unverhältnismässig verbissen durchgeführt. In der nächsten Woche soll ein spezielles Trainingslager mit den Decknamen Frank, Thömi, Patricia, Jausi, Simon (weiblich), Simon (männlich), Joelle, Christoph, Christian und Zdenek auf den Balearen stattfinden. Konnte mich in die teilnehmende Gruppe einschleusen...

 

Tria Basilea auf Mallorca 2005

 

Samstag – 30. April – Tag 1 (Cap de Formentor)
Kaum in unserer Unterkunft angekommen – ich hatte noch nicht meinen Koffer geöffnet –  wurde schon das erste konspirative Treffen vereinbart. Bei schönstem Wetter fuhr die Gruppe in einer langen, elfköpfigen Schlange auf ein weit entferntes Kap zu. Verdächtig erschien mir in diesem Zusammenhang sofort die prall gefüllten Rückentaschen der Teilnehmer. Aus den allermeisten Trikots schauten bunte kleine Päckchen und Tuben hervor, die von Zeit zu Zeit hervorgeholt und zu Munde geführt wurden. Was in den mitgeführten Plastikflaschen (von den Mitgliedern „Bidots“ genannt) abgefüllt war, konnte ich leider nicht auskundschaften, da sie in grösster Eile noch während der Fahrt geleert wurden. Die Fahrt führte grösstenteils an einer wundervollen Küste entlang zu einer bizarr angelegten Festung. Auf den letzten Metern erhöhten viele der Gruppe massiv das Fahrttempo (obwohl sich die Strasse steil bergauf wand) und so verlor ich die meisten Mitglieder für einige Minuten aus den Augen (ein Vorgang, der sich in den nächsten Tagen noch oft wiederholen sollte). Ob sich die Akteure bewusst meiner Beobachtung entziehen wollten, konnte ich bisher nicht in Erfahrung bringen. Auf der Festung angekommen, wurden unendlich viele Fotos in allen nur erdenklichen Variationen (ohne Helm / mit Brille / ohne Schuhe / mit Selbstauslöser / etc.) geschossen – zweifellos werden diese Aufnahmen als Alibi für irgendeine andere, wohl illegale Aktion verwendet werden. Kurz nach dem gemeinsamen Aufbruch, wurde ich Zeuge des berühmt-berüchtigten Schlachtrufs der Eingeborenen – Jjjjabbadabbaduuhh – ich habe diesen Ausruf durch die Dechiffrier-Maschine testen lassen. Diese übersetzte ihn mit „Jetztgeht’sgleichsteilbergabundwirheizenhinunterbisdieFelgeglühtundderReifenraucht“(...!).

 

Kaum am Hotel zurück und kurz abgeduscht (70km standen auf meinem Tacho und ich wurde doch leicht nervös als einige Teilnehmer von einer „kleinen Einführungsrunde“ sprachen ...) wurde ich mit der vierten Disziplin dieser Woche vertraut gemacht, dem Kalorienhamstern. Die meisten Vereinsmitglieder sah man nach 17:00 Uhr meist biertrinkend in der Sonne sitzen um danach in etlichen Durchgängen dem Hotel - Buffet zu Leibe zu rücken. Besonders aktiv war in dieser Hinsicht das Mitglied Christoph Blum, der es gegen Ende der Woche schaffte, pro Nahrungsaufnahme einen Umfang von geschätzten 8000 Kilokalorien aufzunehmen. Kaum verabredete man sich noch zur morgendlichen Schwimmeinheit, da trotteten die ersten Athleten (einschliesslich mir) in ihr Zimmer, um sich der wohlverdienten Ruhephase hinzugeben.


Sonntag – 1. Mai – Tag 2 (Bunyola – Orient – ca. 125 km)
Kaum aufgewacht und halbwegs orientiert, wurde ich des Schwimm-Termins gewahr. Was sich aber im ersten Moment als angenehme Beschäftigung assoziieren lies (man weilte ja schliesslich im Sommer-Aktivitäts und Bade-Eldorado der Deutschen Mitbürgerinnen und Mitbürger), stellte sich als morgendliche
(Kälte-) Tortur heraus. Das Wasser der hoteleigenen Schwimmanlage überstieg nach subjektivem „Siebenuhrmorgensundkaumaufgewacht-Empfinden“ nur sehr knapp den Gefrierpunkt. Darüber hinaus hatten die  Schwimm-Trainingspläne unseres Sportchefs nicht wirklich den Erholungswert, den man sich im Urlaub im allgemeinen erhofft hätte.

Und als wäre das alles nicht genug Bürde, wurden die Frauen unserer Gruppe auf Bahn 1 und 4 auch noch von den älteren Mitbadegästen von ihren Bahnen abgedrängt (um 7:30 Uhr morgens !!!). Wäre da nicht die Aussicht auf ein äusserst umfangreiches Frühstücks-Buffet gewesen, hätte ich an diesem Punkt wohl schon das Handtuch geworfen.

Kaum hatte ich mir den dritten Teller Rührei mit einer Extraportion Speck für den Verzehr aufgeladen (war also noch nicht einmal bei der Hälfte angelangt), da machten sich die ersten Teilnehmer auch schon auf, sich auf die Radeinheit vorzubereiten. Also schnell noch ein Käse-Sandwich und ne Dattel in die Trikottasche gesteckt und dann ab in die Kette der abfahrenden Gruppe eingereiht und immer das Hinterrad des Vordermanns (oder der Vorderfrau) bloss nicht aus den Augen verlieren.

 

Die Radtouren liefen im grossen und ganzen immer nach dem gleichen Schema ab: Die Gruppe versuchte permanent, mich abzuschütteln. Oftmals hatte ich den Eindruck, dass man meine Ermittlungstätigkeiten geahnt hatte und sich meinen Beobachtungen entziehen wollte. Nur so konnte ich mir jedenfalls das teilweise atemberaubende Tempo der Führungsleute erklären und war hoffnungslos überfordert. Meist fuhr man mich zuerst im flachen Landesinneren der Insel mürbe und wenn sich bei mir dann die ersten Ermüdungserscheinungen zeigten, brach man meine Moral bei der Überfahrt eines oder gar mehrerer Pässe. Konnte ich auf der Ebene gerade noch Jausis Tempo folgen, da übernahmen am Berg Simon, Frank oder Thömi die Fahrt und zogen unwiderstehlich nach oben. Letzterer hatte eine besonders grausame Art, mir meine Unbeholfenheit vor Augen zu führen – er fuhr doch tatsächlich bei einer dreissigprozentigen Steigung mit nur einem eingeklickten Schuh an mir vorbei. Ich fragte mich, welche Schmach ich in den nächsten Tagen noch ertragen müsste. Endlich oben angekommen, da schlugen Frank oder Christoph vor, den Buckel voll „runter zu prättschen“ (sausen, flitzen, eilen, rasen) und setzten diese Idee auch sogleich in die Tat um.

 

Unnötig, meinen Zustand am Ende der jeweiligen Tour zu beschreiben... Physisch erschöpft, erniedrigt, gepeinigt, von Selbstzweifeln geplagt, den Tränen nahe versorgte ich mein Rad und brauchte dann eine lange Dusche und gut und gerne zwei bis drei Familienkelche Fantabier auf der Promenade des benachbarten Hotels, bis ich mein Ego wieder einigermassen aufgerichtet hatte. Zum Trost oder aus Trotz versuchte ich im Gegenzug, alle anderen zumindest in der vierten Disziplin hinter mir zu lassen, was mir (mit Ausnahme von Christoph) auch sicherlich gelang.


Montag – 2. Mai (Puig Major – ca. 130 km)
Der dritte Tag unseres Trainingslagers lief dem zweiten ähnlich ab, ausser dass sich unser Sportchef erbarmte und die Schwimm/Frier – Einheit ausfallen lies (Frank, Jausi und Thömi holten diese dafür am Abend im grossen Pool (dem Mittelmeer) nach, wobei es ihnen sichtlich schwer fiel, sich auf geeignete Wendemarken zu einigen J). Erwähnenswert ist für einen Newcomer wie mich, dass sich die Rad (und Höhen-) kilometer schon viel selbstverständlicher und leichter anfühlten und so das Selbstvertrauen beträchtlich anwuchs... Nur an die (wenn auch kurze) Lauf-Einheit nach der Velotour gewöhnte ich mich nicht wirklich.

 

Nicht ausgefallen ist selbstverständlich die Promenaden/Fantabier – Einheit, die nun auch um ausgedehnte Rad-Shop-Kaufeinheiten erweitert wurde. Bei der ausführlichen Begutachtung des Kalorien-Buffets am Abend einigten wir uns auf einen velofreien Dienstag und auf einen velosuperintensiven Mittwoch.


Dienstag – 3. Mai (Schwimmen / Laufen / Trinken / Essen)
Fühle mich in der Gruppe immer wohler, besonders wenn keine anstrengenden Rad-Einheiten auf dem Programm stehen und das Wetter noch immer schlicht supiklasse ist. Das Schwimm-Training lief schon fast wie von selbst, wenn man einmal von der begleitenden, quälenden Entscheidung absieht, ob man beim Frühstück lieber mit Rührei oder einer Schüssel Müsli einsteigt... Zum ersten Mal werde ich daran erinnert, dass ich für diese Woche ein Urlaubsgesuch eingereicht hatte und nicht für irgend eine Schandtat bestraft wurde. Wenn die anderen doch nur noch den Lauf vergessen hätten (an dem sich Christian als wahrer Tausendsassa am Berg entpuppte).


Mittwoch – 4. Mai Tag 5 (QuerüberdieInsel-Express / Mallorca-Classic – 221,853 km)
Der 5. Tag – der Tag der Entscheidung... Die Triathleten haben eine Monsterfahrt von mehr als 200 km geplant und sind selbst am Abend davor immer noch gewillt, diese auch wirklich durchzuführen. In meiner Tätigkeit als Agent gehe ich natürlich davon aus, dass der Verein diese Strecke nur deshalb so hoch ansetzt, um mich als Neuling loszuwerden und somit wieder einmal unbeobachtet zu sein. Ich gebe mich am Abend davor unschlüssig, buche mit Christian und den Damen  noch einen Transfer-Bus, um alle anderen in die Irre zu leiten und schliesse mich am Morgen kurzerhand der Langdistanz-Gruppe an. 200 Kilometer!!! Unnötig zu erwähnen, dass mir beim Gedanken an die Tortur mehr als mulmig wurde. Allein mein Vorsprung bei der Kalorienaufnahme und die Gewissheit, dass ich mich zumindest bei der flachen Durchquerung der Insel von den anderen ziehen lassen kann (solange ich mich an deren Hinterrad halte), geben mir ein Stück weit die Hoffnung, den Tag einigermassen gesund zu überstehen.

 

Am Ende konnte ich es kaum glauben. Die Gruppe hat über 220 km und etliche Höhenmeter unter die Laufräder genommen. Mit dem Velo! 220 km! Und ich bin am Ende nicht einmal vom Rad gefallen. Bin (fast) ganz normal abgestiegen und in mein Zimmer gegangen. Hab’ geduscht, hab’ Fanta-Bier getrunken, hab’ gegessen (vielleicht noch etwas mehr als sonst) und bin immer noch gestanden. Scheisse, war ich stolz.



Tja, Kinder – an diesem Punkt war ich im Mai dann wohl mit meinem Latein am Ende. Ich kann mich heute noch an einen leicht nieselnden Donnerstag und eine wunderschöne Abschlussfahrt am Freitag erinnern. Insgesamt sind einige von uns in dieser Woche auf über 800 Rad-Kilometer gekommen. Vermutlich hat ja der Vereinskollege und Sportler in mir den Agenten besiegt und verhindert, dass jener diesen schändlichen Bericht zu Ende führt.

Alles in allem war Mallorca eine wunderschöne und trainingsspezifisch sehr fruchtbare Woche. Für mich als Newcomer waren vorher die gefahrenen Distanzen und Höhenmeter kaum vorstellbar. Dank der sehr geduldigen und hilfsbereiten Routiniers in unserem Verein ist auch das Fahren in der Gruppe ein tolles Erlebnis (wenn man einmal davon absieht, dass man von gewissen „Kollegen“ des öfteren seine Unfähigkeit am Berg vor Augen geführt bekommt...). Ich jedenfalls kann dieses Lager jedem nur empfehlen und bin jetzt schon auf die neidisch, die auch dieses Jahr wieder die Möglichkeit bekommen, den Puig Major hoch zu sprinten...

Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich wiederkomme ...

Triabasilea - Der Triathlon Verein in Basel   |    Copyright ©  Zeisch GmbH