Mein Wettkampfjahr Teil 4
Die Triathlon-Saison als solche lässt sich in meinen Augen nur als Gesamtkunstwerk betrachten. Die Extremitäten werden nach und nach fast zärtlich aus dem Winterschlaf geholt und über spezifisch handverlesene Wettkämpfe und „Schlüsseleinheiten“ an die Saisonhöhepunkte herangeführt.
Andere Vereinsmitglieder bedienen sich da eher einer brachialeren Variante. Sie tänzeln im Frühjahr gerne von einem Bein auf das andere, frönen dem sozialen, kommunikativen Austausch, denen sich links, strecken sich rechts und schieben den Sprung ins Schwimmbecken so lange wie möglich hinaus, um dann zu einem bestimmten Termin ihrem Körper „die volle Breitseite“ zu geben. Da werden plötzlich 74 km Berglauf unter die Sohlen genommen oder die halbe Schweiz in einem einzigen Wettkampf durchquert. Kaum zu glauben, beängstigend, krank… bewundernswert!
Ein Faktor, den beide Vorgehensweisen gemeinsam haben ist, dass sie auf recht fragilen Füssen stehen. Eine unbedachte Handlung, ein falscher Schritt im „Parallelleben“ des Triathleten und schon ist die gesamte Herrlichkeit des Wettkampflebens aus den Angeln gehoben. Bei mir war es diesmal der Moment, als ich bei einem Ausflug mit meinen Genträgern auf die gloriose Idee kam, mit Skates in eine Halfpipe hinein zu fahren. Nicht, dass ich sehr virtuos mit diesen Mördergeräten umgehen könnte oder eine Ahnung davon hatte, wie ich mich aus dieser Situation auch wieder herauswinden könnte. Das Abenteuer endete mit einer kurzen und unästhetischen Flugphase, einem trockenen Aufschlag und einem ziehenden Schmerz in meiner linken Brusthälfte. Rippenprellung – Tschau Tschau Trainingsalltag, Tschüss Zofingen – wie kriegt man denn sonst noch so die Freizeit herum, ohne sich zu bewegen…
Doch dann steht da die Halbdistanz in Kraichgau ins Haus und die Rippenregeneration legt eine Punktlandung hin. Showdown für Kienle, Co. KG und ich – eins gegen eins…
Kraichgau ist für mich viel viel mehr als nur ein Wettkampf… man zelebriert ein ganzes Wochenende mit Gleichgesinnten, macht Sprüche, wie unglaublich schnell man diese Jahr sein wird, flaniert über die Triathlon Expo, sieht unfassbar schöne, unfassbar teure Spielzeuge. Man stimmt sich mit einer gemeinsamen Ausfahrt ein und teilt die Nervosität, gibt massenweise Tipps bei Sachen, wo man selbst keine Ahnung hat…. Da kommen bei mir regelmässig meine autistischen Züge durch – am liebsten wäre mir, ich könnte auf die nächsten Jahre hin alle Freunde und alle gemeinsamen Handlungen exakt auf das gleiche Muster zementieren. Leider mussten wir dieses Jahr bei der Unterkunft ein wenig improvisieren (und ich wette, dass jetzt mindestens 6 Gesichter ein breites Grinsen zwischen den Ohren haben).
Der Wettkampf selbst verlief dafür in allbekannten Bahnen. Meine Schwester, mein grösster Fan, schreit mir auf dem Weg aus dem Wasser meinen Namen ins Ohr („Stefäääään“), nur um unmittelbar darauf auch Thömy anzufeuern. Scheisse – der Vize ist mir wieder einmal dicht auf den Fersen. Auf dem Velo streichelt er mir schon bald über den Allerwertesten – wir sehen uns wie schon so oft immer wieder und fahren praktisch nebeneinander in die zweite Wechselzone hinein. Auf der Laufstrecke gibt Thömy unglaublich Gas und läuft den ersten Kilometer um die 4’20. Ich lass‘ ihn ziehen und bekomme Bammel, dass ich bei den Temperaturen den Halbmarathon nur partiell laufenderweise bewältigen kann. Dann sehe ich das Grauen… Sehe die grotesken roten Stulpen desjenigen, dessen Namen man nicht ausspricht schon sehr früh an mir vorbei hüpfen und sich blitzartig entfernen. Einmal mehr muss ich mich der schieren Übermacht auf der Laufstrecke beugen. Zumindest bietet der gemeinsame Zieleinlauf mit Thömy einen gewissen Trost. Aber am Schluss sitzen wir alle, der, dessen Namen man nicht ausspricht, Thömy, Doris, Luana, QuickNic und Nora Slow am Tisch, bekommen Melone und Brezel serviert und freuen uns über das gemeinsame Erlebnis…
Viel zu schnell ist solch ein Wettkampfwochenende vorbei, viel zu schnell sieht man sich danach wieder der schnöden Alltagswelt gegenüber. Kaum ist das Tri Top gewaschen, hält das routinemässige Training wieder Einzug und man sieht nach vorne, dem nächsten Event entgegen.
Der Rigolator – der Ort, an dem die Vereinsmeister und deren Untertanen auserwählt werden. Schnell ist der Schlachtplan zurechtgelegt: Volle Kanne schwimmen, auf dem Velo alles herausholen und dann beim Laufen den Vorsprung ins Ziel retten. Ganz einfach!
Und das macht man dann auch – und alles läuft nach Plan. Und man überlegt sich schon die verschiedensten Posen auf der Ziellinie, überlegt sich die gemeinsten Sprüche, die den anderen verletzen und demütigen sollen…
Tja, bis dann der andere, der, dessen Namen man nicht ausspricht schon in der zweiten Wechselzone neben einem auftaucht und man genau weiss, dass der Tag halt doch keine Überraschung für einen bereit hält und dass der andere kein Mitleid und keine Zerrung und keinen Speichenbruch hatte.
Ich gratuliere Nora und dem Unaussprechlichen ganz ganz herzlich zum Titel der/des Vereinsmeister/in – und verspreche hiermit, im nächsten Jahr noch fitter zu sein! Grosses Indianer-Ehrenwort!
Herzlichst
Steffen