Mein Wettkampfjahr Teil 3

Veröffentlicht in Kurzberichte 2015

Der April hat mal wieder unter Beweis gestellt, welch ambivalenten Gefühlsebenen unser Sport für den Einzelnen bereit hält:

Auf den Marathon im Einzelgänger-Modus folgt das Power-Weekend in der schnatternden, witzelnden, bluffenden Gruppe. Auf die sonnengesegnete, wunderbare Anfahrt am Freitag folgt der kalte, verregnete Samstag, der von einem wiederum unglaublich tröstenden, warmen Sonntag abgelöst wird.

Man muss sich nur einmal vor Augen halten, wie unterschiedlich ein und derselbe Wettkampf von zwei „ungleich begabten“ Triathleten erlebt wird:

Nehmen wir einen halbwegs fähigen Läufer, der im Wasser allerdings kaum eine Hand vor die andere bekommt – nennen wir ihn der Einfachheit halber K.E. – und vergleichen seinen Tag mit einem Delfin, der jedoch beim Laufen elendiglich zu Grunde geht (nennen wir ihn S.W. (Initialen sind natürlich frei erfunden…).

6:30 Uhr – 2,5 Stunden vor dem Start – S.W. legt seine dritte Schwimmbrille zum Neo – vielleicht ist das Licht ja doch heller als erwartet und er kann seine verspiegelten Gläser zum Einsatz bringen. Sein Neopren ist vom Feinsten, seine Technik nach dem intensiven Wintertraining noch geschmeidiger. Er hofft, seinen Schwimm-Split vom vergangenen Jahr um 5 – 6 Sekunden schlagen zu können. Dieses Mal startet er – als Rechtsatmer etwas links versetzt vom Zentrum, sucht trotz massiver Belästigung von links und rechts seinen Rhythmus und hängt sich nach der ersten Boje dann an die zweite oder dritte Gruppe. Er ist nervös – gilt es doch, mit dem Startschuss das Maximum an Leistung abrufen zu können.

Ganz anders K.E.: Er schläft den Schlaf der Gerechten. Seine letzte ernsthafte Schwimm-Einheit liegt Wochen zurück und er wird sich in seinen zerfledderten Neo erst kurz vor dem Start hinein zwängen. Sollte er überhaupt nervös sein, dann nur aufgrund der ehrfurchtgebietenden Distanz im so verhassten nassen Element. Wenn sich das Starterfeld die ersten Schläge auf Badekappe und Oberarm austeilt, dann benetzt er lässig seine 5jährige Schwimmbrille und macht sich bereit, ins Wasser zu gehen. Er startet vom Zentrum – genau dort, wo vor 3 Minuten die sogenannten ambitionierten Agegrouper ihrer Leidenschaft freien Lauf liessen.

10:00 Uhr – nach dem Wechsel auf die Zeitfahrmaschine ist S.W. nahe an der Verzweiflung – wie am Fliessband wird er von unglaublich durchtrainierten Athleten mit unglaublich teuren Maschinen unglaublich schnell überholt. Er schaut nach unten – nein, auch er traktiert seine Pedale mit maximaler Kraft nach unten – links/recht, links/rechts – aber bei den anderen scheint die gleiche Tätigkeit eine komplett andere Wirkung zu erzielen. Nun, man ist ja nicht unerfahren und versucht, seine Herzfrequenz wieder auf 170 Schläge und somit auf ein vertretbares Mass herunterzudrücken und in den Rhythmus der Radstrecke zu finden. Um Himmels Willen – heute scheint ja wirklich gar nichts zu gehen…

Ganz anders K.E.: Er hat mit Würde und nur wenigen Brustzügen (für seine Verhältnisse) die Schwimm-Distanz hinter sich gebracht und begibt sich locker zu seinem Velo, das relativ einfach zu finden ist, weil nicht mehr viele in der Wechselzone stehen. Neben ihm schieben Menschen im Einteiler ihre Räder wie Rollatoren vor sich her – K.E. ist bester Dinge, witzelt links, klatscht rechts ab und freut sich des schönen Wetters und der bezwungenen Schwimm-Aufgabe. Sein Aufstieg aufs Wettkampfrad lässt sich auch mit grösstem Wohlwollen als gemächlich beschreiben, aber erst einmal losgelegt, fängt er sofort an, Konkurrenten zu überholen und das Feld von hinten aufzurollen.

12:30 Uhr – S.W. hat mit sehr sehr weichen Oberschenkeln auf die Laufstrecke gewechselt. Ihm ist bewusst, dass die Odyssee erst jetzt so richtig ihren Lauf nimmt. Ist er auf den letzten 30 Kilometern auf der Radstrecke schliesslich doch noch Athleten „auf Augenhöhe“ begegnet, beginnt für ihn jetzt die Phase des Tages, wo es „ans Eingemachte“ geht. Das Laufen ist nicht seine Disziplin und so steckt er von neuem herbe Schläge ins Selbstwertgefühl ein. Es wundert ihn nur, dass da immer noch Athleten kommen, die ihn durchreichen – es scheint kein Ende zu nehmen mit der Erniedrigung, die ihm widerfährt. Irgendwann muss der Letzte doch durch sein – irgendwann müssen die doch beginnen, die Versorgungsstationen abzubauen und die Zeitnahme einzustellen. Welch Demütigung, welch Desaster – all die Mühen, all die Disziplin im Trainingsalltag – für nichts!

Ganz anders K.E.: Er hat mittlerweile so richtig Blut geleckt und überholt einen Mitbewerber nach dem anderen. Unglaublich, was für einen geilen Tag er erwischt hat – alles scheint wie von selbst zu funktionieren. Das Training auf dem Rad und auf der Laufrunde hat sich wirklich ausbezahlt – und wenn ich nur ein wenig schwimmen könnte, dann wäre mir der Podest-Platz sicher.

Vor ihm läuft der Vereinskollege S.W. – nicht schön anzusehen, wie der sich über die Strecke schleppt – na ja – ein aufmunternder Klaps auf das Hinterteil , ein fröhliches „Siehst gut aus!“ wird ihn sicherlich noch einmal aus seiner Lethargie herausholen und motivieren.

14:40 Uhr – K.E. läuft völlig euphorisch über die Ziellinie und freut sich schon auf Kuchen, Brezeln und Bier. Die letzte halbe Stunde  hat ihm jede zurückliegende Strapaze, jede Mühe doppelt und dreifach zurückbezahlt. Er ist glücklich, klatscht links und rechts Hände ab und ist einfach nur froh, zu diesem privilegierten Kreis zu gehören, der so viel Spass und Leidenschaft am Ausdauersport zu haben scheint.

14:45 Uhr – auch S.W. hat es wieder mal geschafft, das Rennen zu beenden und sich mit dessen Ablauf auszusöhnen. Im Ziel sind alle gleichwertig – kaum einer kümmert sich noch um Zeitsplitte und Ergebnislisten. Man freut sich über den gelungenen Tag und kündigt einen unglaublichen Leistungszuwachs im nächsten Jahr an…

Sieg und Niederlage, Kalt und Warm, Schwarz und Weiss, Yin und Yang – der Triathlon hält vielfältige Facetten bereit…

Viele meiden natürlich die Ansprüche dieses Wechselbades und geben sich beispielsweise dem Müssiggang der Balearen hin – fahren bei mildem Wetter moderate Anstiege hoch und runter, messen sich in kurzen, halbherzigen Brückensprints kurz vor Santa Maria und denken, dass dies der Gipfel des Draufgängertums darstellt. Ich aber sage: Selbst bei gnadenreichster Betrachtung wird dieses perverse Verhalten im besten Fall als „härzig“ zu beschreiben sein. Diese Individuen tun mir einfach nur leid! Was für ein armseliges Bild stellt solch eine sportliche Betätigung dar.

Ich selbst habe nach dem Powerweekend die etwas verwegenere Variante gewält. Mit dem Abflug der Mallorca-Truppe hält im Baselbiet eine mächtige Regenfront Einzug, die ein gewissenhaftes Training nahezu unmöglich macht. Trotzdem scheint eine olympische Distanz im deutschen Rheinfelden der richtige Einstieg in die Tri-Saison darzustellen. Der neue Neo ist eingepackt, die Wettkampfmaschine mit neuen Batterien und Kettenöl bestückt und die passenden Laufschuhe ausgewählt. Zugegebenermassen nimmt mir der prasselnde Regen am Wettkampftag etwas den Mut, genauso wie der von der Einweihung des Neos aufgescheuerte Nacken und der blutende, aufgeschlagene Zeh im Schwimmbad. Und dennoch: Einmal gestartet, gibt’s kein Halten mehr und der Spass stellt sich ein. Der gestaffelte Start lässt ein sehr angenehmes Schwimmen zu, die gesperrte Radstrecke lädt zum Rasen ein und in der Schlammschlacht am Ende kommen fast schon Strongman-Gefühle auf (obwohl ich keine Ahnung habe, wie man sich zu solch einer Quälerei überhaupt entschliessen kann). Schade nur, dass man bei diesem Modus niemals eine Ahnung davon hat, wie man im Klassement steht. Dies ist der Vorteil des klassischen Massenstarts – man hat Geprügel am Anfang (und an der ersten, zweiten und dritten Boje), es ist lebensgefährlich, am Balken aufs Rad zu springen – aber man hat ungefiltert vor Augen, wo man im Rennen steht und wer einem den 464.ten Rang streitig macht.

Und schon bald steht die nächste Herausforderung auf dem Kalender – der Intervall Duathlon in Zofingen ist ein ganz spezieller Wettkampf, der mit seinen vier Wechseln (4-16-4-16-4) kein Auge trocken lässt.

Euch allen einen wunderbaren Mai und schöne Trainingserlebnisse…

Herzlichst Steffen

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